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HIIT, HALTUNG, CHIROPRAKTIK

Von Despina Borelidis

INTERVIEW MIT CHIROPRAKTIKER FRANK SOENS

Wie effektiv ist HIIT aus chiropraktischer Sicht? HIIT nach einem Bandscheibenvorfall: Ja oder Nein? Welchen Effekt hat Chiropraktik auf unsere sportliche Performance und wie beeinflusst Chiropraktik unsere Haltung und Psyche? Wir haben Frank Soens – Chiropraktiker, Ironman, Taucher, Triathlet und Marathonläufer – in seiner Praxis besucht. „Haltung fängt im Kopf an“, sagt er. Erfahre mehr über die Justierung, auf die Profisportler wie Usain Bolt schwören!

 

Frank, als Chiropraktiker hast du sicher einen geschärften Blick auf Menschen. Worauf achtest du besonders?

Chiropraktik hat eine ganzheitliche Sicht auf den Menschen, das heißt, ich achte über Gang, Haltung, Atmung hinaus auch auf die Ausstrahlung: Ist mein Gegenüber glücklich oder bedrückt ihn etwas? Das ist ein wichtiger Faktor, wenn ich in die Behandlung gehe.

 

Weswegen kommen Patienten zu dir?

Die meisten verbinden mit Chiropraktik „Rücken“und „Wirbelsäule“ und kommen vorrangig wegen Rückenschmerzen, andere wegen Schmerzen in den Knien, der Hüfte, der Schulter. Da wir in der Chiropraktik auch parasympathisch arbeiten, können wir sogar die Symptome eines Burnout abmildern und behandeln deswegen auch Menschen, die sich mental besser fühlen möchten.

 

Kannst du das näher erläutern?

Ja, unser vegetatives Nervensystem besteht unter anderem aus den beiden Gegenspielern Sympathikus und Parasympathikus. Der erste ist für Aktivität zuständig – denken wir an das berühmte „Fight or Flight“-Prinzip. Der Parasympathikus dagegen ist für den Ruhemodus, die Recovery-Phase, zuständig. Wichtig ist, dass diese beiden im Einklang sind.

Sind wir permanent gestresst oder emotional belastet, gibt unser Gehirn das Signal zu „Fight or Flight“. Unter anderem wird der Musculus Iliopsoas, der in der Lendenwirbelsäule seinen Ursprung hat und bis in den Oberschenkel reicht, angespannt. Ist dieser Zustand latent und befeuern wir diesen Zustand zusätzlich, indem wir keinen Sport treiben, uns schlecht ernähren und zu wenig ausruhen, kann sogar ein Bandscheibenvorfall die Folge sein. In der Chiropraktik wird das alles mit einbezogen und der Körper nach seinen Signalen justiert.

 

 

Was ist ein Bandscheibenvorfall aus chiropraktischer Sicht?

Ein Bandscheibenvorfall ist das Resultat aus der Summe eines Lebens bis zu diesem Punkt – mit all den Haltungen, Belastungen, Unfällen, Stürzen, emotionalem Stress und mehr. Meistens passiert ein Bandscheibenvorfall zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbel oder dem fünften Lendenwirbel und dem Kreuzbein. Die Frage aus chiropraktischer Sicht ist: Warum passiert ein Bandscheibenvorfall überhaupt?

Wir reden in der Chiropraktik immer von Statik und wie diese bewahrt oder wiederhergestellt werden kann. Oft ist Stress die Ursache dafür, dass diese Statik ins Ungleichgewicht gerät. Stress entsteht oben an der oberen Halswirbelsäule am Kopfgelenk, auch Atlantookzipitalgelenk genannt, indem wir den Kopf gesenkt halten. Auch das Keilbein, das mit dem Unterkiefergelenk zusammenhängt, spielt hier eine zentrale Rolle und die buchstäbliche Schwere, die auf den Schultern lastet. Klar hat das alles einen starken Einfluss auf unsere Bandscheiben. Der Körper kippt die Hüfte nach vorne, um die entstandene Dysbalance im oberen Rücken auszugleichen. Dadurch wird die Lordose – die Krümmung in der Lendenwirbelsäule – erhöht und erzeugt eine höhere Anfälligkeit im Bereich des fünften Lendenwirbels. Das kann zu Bandscheibenvorfällen führen.

 

Du sagst „Haltung fängt im Kopf an“: Hängt das auch damit zusammen?

Ja, Körper und Geist sind eine Einheit. Die darf man nicht voneinander getrennt sehen. Zwischen den beiden findet ein millisekündlicher Abgleich statt. Ein Beispiel: Viele Menschen verharren zu lange in einer „vorgegebenen“ Haltung. Eine vorgegebene Haltung beeinflusst unsere Psyche und auch umgekehrt. Auch die Psyche beeinflusst unsere Haltung. Deswegen ist die Haltung eines Menschen in dessen Psyche aber auch in dessen körperlichen Haltung sichtbar.

 

Was ist eine vorgegebene Haltung?

Beispielsweise die typische Haltung, die wir einnehmen, wenn wir aufs Smartphone sehen – und das über einen längeren Zeitraum. Diese vorgegebene krumme, in sich gekehrte, Haltung ist gleichzeitig eine depressive Haltung. Deswegen werden wir nicht gleich depressiv, aber: Wir erzeugen dadurch eine Anfälligkeit.

 

Welche typischen Fehlhaltungen beobachtest du noch im Alltag?

Große Menschen machen sich oft kleiner, als sie sind und verlassen ihre aufrechte Haltung. Dann die Klassiker: im Sitzen die Beine übereinanderschlagen, die Handtasche über eine Schulter zu tragen, im Stehen nur eine Seite der Hüfte – also nur ein Bein – belasten. Auch Portemonnaies in der Hosentasche sorgen für eine Dysbalance in der Hüfte. Das macht uns einfach ausgedrückt asymmetrisch. Das Portemonnaie in der Hosentasche sorgt beispielsweise dafür, das die Hüfte in eine Schiefhaltung gerät und das muss die Wirbelsäule dann ausgleichen – dementsprechend dann auch die Muskulatur. Alles Fehlhaltungen, die oft über Jahre und Jahrzehnte hinweg eingenommen werden und einen starken Einfluss auf die Statik unserer Muskulatur, unserer Gelenke und unser Befinden nehmen.

 

Worin liegt der chiropraktische Fokus?

Der Fokus liegt klar auf der Wirbelsäule. Ziel ist, dem Körper eine Fehlhaltung abzugewöhnen, die Schmerzen auslöst und den Körper wieder auf eine Idealposition zu bewegen. Unser Gehirn ist hier der maßgebliche Faktor: In der Chiropraktik – das wissen die wenigsten – wird die neuronale Plastizität beeinflusst. Es wird ein Signal, ein Reiz in den Körper gegeben, mit dem Ziel, das Gehirn gezielt anzuspornen, Denkmuster zu verändern, damit der Körper in eine verbesserte Gelenkposition findet. Das hat Adaption zur Folge, die sich oftmals in Verspannungen und Schmerzen äußert. Der Körper kann richtig rebellieren! Dennoch ist das nötig, um wieder in die richtige Haltung zu finden.

 


Wie gehst du in deiner Behandlung vor?

Meine Erfahrung zeigt: Die Schmerzursache ist bei langfristig entstandenen Fehlhaltungen und daraus resultierenden Schmerzen selten direkt am Haupttrigger – also am Symptom selbst – zu finden. Ich versuche mich deswegen, möglichst vom Symptom zu lösen. Ein Beispiel: Ein Patient kommt mit Knieschmerzen. Dazu bearbeiten wir erst die Totale, denn das Knie wird sehr stark vom Iliosakralgelenk beeinflusst und badet oft Dysbalancen aus dem Iliosakralgelenk aus. Natürlich kann auch der Fuß einen Anteil an Knieschmerzen haben – aber wir gehen zunächst von den Hauptkomponenten aus, die nerval gesehen die höchste Priorität haben und setzen direkt am Rückenmark an.

 

Kommen auch kerngesunde Menschen zu dir in die Behandlung – auch Sportlerinnen und Sportler?

Ja, durchaus. Dazu rate ich auch. Das ist in Deutschland noch nicht so weit verbreitet wie vielleicht in den USA, wo Chiropraktik ihren Ursprung hat und eine Art Lifestyle ist. Denken wir an Leistungssportler wie beispielsweise Usain Bolt, so hat er sich zu seinen Spitzenzeiten fünf mal täglich justieren lassen, um ein gezieltes Techniktraining zu erreichen! Auch und vor allem direkt vor Wettkämpfen.

Es hat sich gezeigt – das belegen Studien – dass der beste Abgleich zwischen Propriorezeptoren und dem Kleinhirn in den ersten 20 Minuten nach einer chiropraktischen Behandlung stattfindet. Die Propriorezeptoren sind Rezeptoren, die überall an Gelenken und Muskelbäuchen sitzen und Position, Lage und Druck ans Kleinhirn weiterleiten. Stimmt diese Kommunikation, können Sportlerinnen und Sportler wesentlich präziser trainieren und dadurch auch ihre Leistung steigern. Nehmen wir Profi-Golfspieler: Viele lassen sich justieren, um Technik, Schlagfolge und Schwung zu präzisieren.

 

Was verordnest grundsätzlich?

Achtet auf eure Gewohnheiten! Gewohnheiten sind Dinge, die wir 15 Stunden oder mehr pro Woche machen. Das ist absoluter Leistungssport! Dagegen sind 150 Minuten HIIT pro Woche nichts.

 

HIIT aus chiropraktischer Sicht: Was denkst du über unser Workout?

Ich empfinde das Workout bei euch als sehr effizient. Die Kombination zwischen Kraft und Ausdauer ist super! Eine starke Muskulatur ist ein sehr guter Puffer, sie schützt den Körper und sorgt für eine gute Statik und darauf kommt es an: Eine starke, stabile Rückenmuskulatur entlastet Lenden- und Wirbelsäule, trägt zu einer geraden Haltung und einem starken Rücken bei.

 

 

Wir sprachen über das Thema „Bandscheibenvorfall“: HIIT nach einem Bandscheibenvorfall: Sollte man da besser ein paar Monate mit dem Training aussetzen?

Meines Erachtens sollte man mit dem Training beginnen, wenn man wieder „grade“ ist – sprich: Wenn der Körper den Bandscheibenvorfall insgesamt wieder abgefangen hat, aus der Schonhaltung raus ist und die Statik wiederhergestellt ist. Das dauert unterschiedlich lange je nach Disposition: Hat man bereits viel Sport getrieben – denn auch Sportler leiden unter Bandscheibenvorfällen – dann gelten natürlich andere Voraussetzungen, als bei einem Menschen, der sich vorher kaum bewegt hat.

Hat man eine Anfälligkeit im unteren Wirbelbereich, sollte man beim HIIT darauf achten, dass man stark technikorientiert trainiert – das ist das Entscheidende. Nicht die Quantität zählt, sondern die Qualität der Übungen. Keine Hauruck-Bewegungen – das gilt auch für absolut gesunde Körper. Auch macht es Sinn, zunächst auf leichtere Gewichte umzusteigen – vor allem bei Hebe – und Drehbewegungen, beispielsweise mit dem Slam Ball.

 

Gibt es einen chiropraktischen Lehrsatz, den man ins HIIT-Workout mitnehmen sollte?

Bewusste, präzise Bewegungen. Konzentriere dich auf deinen Körper und höre in dich hinein!

 

Was sagt deine Erfahrung: Was erzeugt auf lange Sicht einen gesunden, stabilen, aufeinander abgestimmten Bewegungsapparat?

Es sind mehrere Komponenten: eine gesunde Psyche, eine gesunde Ernährung, ein gesundes Umfeld, Bewegung, Sport und den Körper – das halte ich natürlich als Chiropraktiker für enorm wichtig – immer wieder an das Optimum heranzuführen!

 

Der Mann weiß, wovon er spricht: Als Taucher hat er einen sehr langen Atem. Mehrere Triathlons zieren seinen sportlichen Werdegang und diverse Marathonläufe – einen ist er sogar völlig untrainiert gelaufen, um „herauszufinden, was im Körper passiert“, sagt er. Seinen dritten Ironman machte Frank 2018. Für mehr Infos zu seiner Praxis klick auf Chiropraktik Hamburg Nord.