Wie krass ist unser Körper eigentlich? In jeder Sekunde laufen unzählige Prozesse ab, die wir aktiv gar nicht wahrnehmen, dennoch sind sie überlebenswichtig und beeinflussen unser Dasein: interne Prozesse, unsere Gesundheit, die Stimmung, Gedanken, Wahrnehmung – einfach alles.
Ein wichtiger Baustein für die Prozesse in unserem Körper sind Hormone. Ladies, ihr kennt es bestimmt alle: Mal fühlen wir uns in Topform, sind super motiviert und schaffen Höchstleistungen, an anderen Tagen ist die Energie low und wir sind eher schwach und schwerfällig. Hormone sind verantwortlich für Hunger, Sexualität, aber auch Muskelwachstum und Fettstoffwechsel. Aber was macht Sport überhaupt mit unserem Hormonhaushalt und wie können wir die Hormone und den weiblichen Zyklus mit Training beeinflussen und in Balance bringen?
Dieser Urban Vibes Talk beantwortet unsere Fragen. Unser Gast ist Dr. med. Elena Maria Leineweber – von Instagram bekannt als Doktor Ela – sie ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und kennt sich bestens mit dem Thema Hormone, Zyklus und Training aus. Obwohl es hier primär um unsere weiblichen Hörer*innen geht, können auch alle anderen einiges mitnehmen!
Hier kommst du zur Podcastfolge Hormone, Zyklus und Training – mit Doktor Ela!
Doktor Ela, welche Funktionen haben welche Hormone beim Sport und bei der Regeneration generell? Sowohl bei Männern als auch bei Frauen?
Es gibt Geschlechtshormone, die unterscheiden sich bei Männern und Frauen. Dazu gibt es aber auch jede Menge anderer Hormone, die bei Männern und Frauen gleich funktionieren. Gerade beim und nach dem Workout werden sehr viele verschiedene Hormone ausgeschüttet. Für den Muskelaufbau sind meiner Meinung nach drei Hormone total wichtig: das Sexualhormon Testosteron, das Wachstumshormon und das Insulin.
Vom Testosteron haben Männer etwas mehr als Frauen, aber auch bei Frauen ist das Hormon extrem wichtig für den Muskelaufbau. Das Wachstumshormon ist essentiell für die Regeneration, es ist ja bekannt, dass eine gute Regeneration fast wichtiger ist als das Training selbst. Dieses Hormon wird vor allem in Ruhephasen ausgeschüttet, besonders nachts. Ausreichender Schlaf und kein Alkohol vorm Schlafen sind dafür wichtig. Insulin wird häufig mit Diabetes in Verbindung gebracht, es ist aber auch extrem wichtig für die Verstoffwechselung von Zuckern und Proteinen und damit auch wieder für den Muskelaufbau.
Passiert denn hormonell gesehen bei Männern und Frauen was anderes, während wir in der Red Zone trainieren?
Ich würde sagen, dass die Hormonausschüttung in dem Moment bei Männern und Frauen sehr ähnlich ist. An der Stelle beim Sport werden ganz viele Glückshormone wie Endorphine und Serotonin freigesetzt. Das ist erstmal geschlechterunspezifisch. Aber die Stimmung, mit der man zum Training geht, kann bei Frauen und Männern sehr unterschiedlich sein und bei Frauen auch tatsächlich von der Zyklusphase abhängig sein. Ich denke, da sind die allermeisten Frauen kurz vor dem Eisprung viel motivierter und fühlen sich viel leistungsfähiger, als sie es zu einem anderen Zeitpunkt im Zyklus tun.
Und welche Rolle spielt der weibliche Zyklus dabei?
Der Muskelstoffwechsel und unsere subjektiv wahrgenommene Leistungsfähigkeit, die hängen von den zyklischen Schwankungen der Sexualhormone ab. Frauen mit einer starken Menstruation können durch diesen regelmäßigen Blutverlust und den daraus resultierenden niedrigeren Hämoglobinkonzentrationen in ihrer Leistungsfähigkeit dauerhaft eingeschränkt sein.
In welcher Zyklusphase sind wir in sportlicher Höchstform? Und woran liegt das so körperlich?
Ich glaube dafür ist eine kurze Wiederholung des weiblichen Zyklus erstmal wichtig. Die erste Zyklusphase wird auch als Follikelphase bezeichnet. In dieser Zeit produziert der Eierstock mit der Eizellreifung viel Östrogen – der Höhepunkt ist zum Zeitpunkt des Eisprungs. Das ist in dieser Phase des Zyklus das dominierende Sexualhormon. Auch das männliche Sexualhormon Testosteron hat zu diesem Zeitpunkt beim Eisprung den höchsten Level.
Danach folgt die zweite Zyklusphase, die Luthealphase, wo das Gelbkörperhormon Progesteron in hohen Konzentrationen vorliegt. Die anerobe Kapazität und die Muskelkraft sind in dieser späten Follikelphase, in den fruchtbaren Tagen, am größten. Deswegen konnten Studien auch belegen, dass sowohl Krafttraining als auch Ausdauertraining in der ersten Zyklusphase von Vorteil sind, da sich die Muskeln besser an das Training adaptieren können und die Regeneration besser läuft. Das ist wiederum für den Muskelaufbau essentiell wichtig.
Heißt das, dass wir in der zweiten Zyklusphase eher auf Pilates, Yoga und ausgedehnte Spaziergänge zurückgreifen sollten?
Das ist individuell total unterschiedlich und da gibt es keine feste Regel. Eine Frau, die sich fit fühlt, kann und darf auch in der zweiten Zyklusphase so trainieren. Denn, ganz wichtig, Studien konnten auch zeigen, dass wenn wir über die Leistungsfähigkeit sprechen, diese messbare körperliche Leistungsfähigkeit während des Zyklus nicht variiert. Nur die subjektive Wahrnehmung der eigenen Leistungsfähigkeit variierte. Gleiches gilt auch für Training während der Menstruation.
Kann Training während meiner Menstruation hilfreich sein oder ist es eher kontraproduktiv?
Menstruationsbeschwerden können durch Sport gelindert werden. Und auch PMS-Beschwerden können durch Sport gemindert werden.
Gilt das nur für Frauen, die keine Pille oder andere hormonelle Verhütungsmittel nehmen?
Wenn man die Pille oder andere hormonelle Verhütungsmittel nimmt, dann hat man einen konstanteren Hormonspiegel als ohne. Außer eben in der Phase, in der die hormonellen Verhütungsmittel nicht eingenommen werden. Durch diesen kontanten Hormonspiegel hat man nicht diese Peaks – das kann sich sowohl positiv als auch negativ auf den Muskelaufbau auswirken. Bei Frauen, die hormonellen Verhütungsmittel nehmen, sind die Schwankungen daher nicht so sehr vorhanden wie bei jenen, die welche nehmen. Allerdings profitieren sie dann auch nicht von dem Testosteron-Peak. Es ist definitiv ein Diskussionspunkt, was dann mit der Leistungsfähigkeit während der Menstruation ist. Gerade, wenn man viel menstruiert und einen höheren Blutverlust hat, ist man dadurch auch weniger leistungsfähig. Es ist am Ende ganz, ganz individuell und hier gibt es keine pauschale Empfehlung.
Klar ist: Hormonelle Verhütungsmittel wirken sich auf unsere Leistungsfähigkeit aus. Nicht klar ist, inwieweit sie sich positiv oder negativ auswirken.
Woran erkenne ich als Frau, dass mein Hormonhaushalt gestört ist?
Ein sehr eindeutiges Leitsymptom ist ein unregelmäßiger Zyklus. Wenn man einen sehr regelmäßigen Zyklus hat, ist eine schwere Hormonstörung sehr unwahrscheinlich. Haarausfall, Akne, eine vermehrte Körperbehaarung wie zum Beispiel Bartwuchs, können darauf hinweisen, dass man einen erhöhten Spiegel an männlichen Hormonen hat. Dann macht es Sinn, sich von einer Ärztin oder einem Arzt mit der Bezeichnung für gynäkologische Endokrinogie und Reproduktionsmedizin durchchecken zu lassen.
Dort wird eine Bestimmung der Basishormone in der ersten Zyklusphase und einer Ultraschalluntersuchung durchgeführt, wodurch man relativ einfach feststellen kann, ob der Hormonhaushalt gestört ist.
Unter welchen Voraussetzungen ist das Risiko für einen durcheinandergewirbelten Hormonhaushalt dann besonders hoch?
Gerade bei Sportlerinnen kommt es häufig zu einem relativen Energiedefizit und dadurch zu einem gestörten Zyklus. Man spricht dann auch vom relative engery deficite syndrome – kurz RED Syndrome.
Wenn man exzessiv und viel trainiert, benötigt man dafür auch einfach eine entsprechende Kalorienzufuhr. Ansonsten sagt uns unsere Hirnanhangsdrüse – die ist sowas wie eine übergeordnete Schaltzentrale der Eierstöcke – dass hier aktuell die Bedingungen für eine Fortpflanzung schlecht sind und die Funktion damit zunächst eingestellt wird.
Das Interessante ist, dass sie das auch dann noch tut, wenn sich der Zustand wieder verbessert. Daher ist dieser Prozess leider irreversibel. Das heißt, selbst wenn sich der Zustand (und die Energiezufuhr) verbessert und die Funktion nicht zurück kommt.
Daher mein Appell an alle Sportlerinnen, dass sie auf extremes Training ohne eine abgestimmte Ernährung und eine entsprechende Kalorienzufuhr verzichten sollten, weil sowas hormonell betrachtet total schlecht ist.
Passiert sowas auch bei Hobbysportlerinnen? Oder sind da eher Profis von betroffen?
Ich würde sagen und kenne es aus eigener Erfahrung, wenn man sehr ambitionierte Hobbysportlerin ist, dann trainiert man annähernd so viel wie ein Profisportler oder sogar genau so viel. Man hat aber häufig nicht die Phasen der Regeneration eingeplant, die Profisportler haben. Deswegen gilt das alles auch für Amateursportlerinnen.
Welche langfristigen Probleme können durch einen gestörten Hormonhaushalt entstehen?
Als erstes fällt mir da das Stichwort Osteoporose ein. Wenn man viele Jahre exzessiv Sport gemacht hat, kann sich das negativ auf die Knochen auswirken. An der Stelle würde ich immer auf eine ausreichende Calcium- und Vitamin D Versorgung achten – gegebenenfalls auch als Supplements.
Kannst du auch ein paar Tipps geben für eine hormon-optimierende Ernährung? Dos and Don’ts?
Wenn du viel trainierst, ist es das allerwichtigste, auf eine ausreichende Energiezufuhr zu achten. Bezüglich der Sexualhormonspiegel wird mir da gerade auf Social Media extrem viel zugespielt. Ich muss aber sagen, dass gerade die Sexualhormone nur bedingt beeinflusst werden können. Einige Hormonstörungen gehen mit Insulinresistenz einher und diesbezüglich konnten Studien zeigen, dass am Abend eher weniger und eher low carb gegessen werden sollte (über das Thema habe ich sogar meine Doktorarbeit geschrieben), da die Insulinantwort am Abend nicht mehr so sensitiv ist, wie am Morgen.
Was sehr wichtig ist, dass man sich als Sportlerin mal genauer damit auseinandersetzt, wie viel Kalorien man tatsächlich braucht, wenn man regelmäßig HIIT Workouts macht. Dann darf es häufig etwas mehr sein. 🙂
Wie schätzt du es insgesamt ein – ist die Pille eher gut oder eher schlecht für unsere Leistungsfähigkeit?
Das ist sehr individuell. Manche Frauen profitieren sehr vom Testosteron Peak in der ersten Zyklusphase und haben kein Problem mit ihrer Menstruation. Für die ist es wahrscheinlich nur sinnvoll, keine hormonellen Verhütungsmittel zu nehmen. Dann gibt es aber auch Frauen, die haben ganzschön mit PMS Beschwerden zu kämpfen und profitieren daher wahrscheinlich doch sehr von den hormonellen Verhütungsmitteln. Sport kann sich sehr positiv auf PMS Beschwerden auswirken. Weil eben beim Sport sehr viele Glückshormone frei werden und zwar genau die, die beim PMS aus dem Gleichgewicht geraten sind. Sport ist eigentlich eine super natürliche Therapie entgegen der PMS Beschwerden.
Und wie sieht es dann in der Schwangerschaft aus? Da sind die Hormone ja nochmal anders eingestellt oder?
Auch in der Schwangerschaft finde ich, dass Sport eine super Sache ist. Zwar haben die Hormone ganz andere Konzentrationen aber sind dennoch die ganze Zeit relativ konstant. Ich bin großer Fan von Sport in der Schwangerschaft, aber es ist immer eine individuelle Absprache mit dem Arzt oder der Ärztin. Ich habe mal eine Studie gelesen, die gezeigt hat, dass HIIT Training während der Schwangerschaft die Rate an Notkaiserschnitten senkt! 🙂
Und noch was zum Schluss – für die Menschen, die sich mit Sport bisher nicht so anfreunden konnten. Durch Sport kann der Hormonhaushalt sehr positiv beeinflusst werden. Gerade für Frauen, die unter vermehrt männlichen Hormonen leiden, ist Sport eine ganz natürliche Art und Weise diese zu senken. Denn: Beim Sport werden zwar Testosterone ausgeschüttet, aber gleichzeitig auch ein Hormon, das die freien Testosterone einfängt und bindet und somit die unerwünschten Symptome wie verstärkte Körperbehaarung lindern kann. Die meisten Frauen wissen einfach gar nicht, was sie ihrem Körper durch Sport alles Gutes tun können.